Höfische Bernstein-Spielkassette
mit komplettem Satz von Bernstein-Schachfiguren
Michel Redlin (nachgewiesen ab 1688)
Nordostdeutsch, Danzig, um 1700
Bernstein, transparent und flumig, teils geschnitten und graviert, mit Silberfolie hinterlegt, Holzkern, Messingbeschläge, Schubladen mit blauer Seide, Unterseite mit Augsburger Brokatpapier.
Schachbrett: 37 x 37 x 11 cm
Schachfiguren: König Höhe 7 cm, Bauer Höhe 5,5 cm
Published in: Laue, G.: Tresor. Schatzkunst für die Kunstkammern Europas, München 2017, S. 67, Abb. 43; Laue, G.: Die Kunstkammer. Wunder kann man sammeln, Kunstkammer Edition, Bd. 1, München 2016, S. 52-53, S. 116, Kat. Nr. 27, Abb. 35
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Die prächtige Bernstein-Spielkassette mit Schachfiguren zählt zu den eindrucksvollen Erzeugnissen der Bernsteinkunst aus der Zeit um 1700. Auf vier löwenförmigen Füßen erhebt sich der quadratische Korpus der Schatulle, der rundum mit Bernsteinplaketten verschiedener Größen und Farben in farbprächtiger Marqueterie bedeckt ist. Die Ränder zieren flach geschnittene Stücke von flumigem Bernstein sowie auch ovale und rautenförmige Cabochons von durchsichtigem Bernstein, die mit einer Goldfolie unterlegt und mit Hintergrundgravuren belebt sind. Auf dem Spielbrett wechseln sich viereckige Felder aus dunkelrotem, durchsichtigem und aus gelblichem, flumigem Bernstein ab. Diese zwei verschiedenen Arten von Bernstein nutzte der Künstler auch, um die zwei Figurensätze farblich voneinander zu unterscheiden, die üblicherweise schwarz und weiß, hier jedoch rot und gelb, gestaltet sind. Auf den dunkelroten Cabochons und Feldern des Spielbrettes sind Hafenlandschaften, Genreszenen, emblematische Darstellungen und allerlei Tiere wie Hirsch, Hase oder Einhorn dargestellt. An den Ecken des Spielbrettes erheben sich kleine, vollplastisch gestaltete Vasen mit Früchten aus Bernstein, die feierliche Erscheinung der Kassette betonen. An den Seiten sind wiederum zwei Schubladen angebracht, in die der komplette Satz von insgesamt 32 Schachfiguren Platz findet. Zieht man diese Schubladen heraus, so kommen König, Dame, Läufer, Türme, Springer und Bauern zum Vorschein, die in je 16 Kompartimenten mit einem Bezug aus blauer Seide liegen.
Vergleichbare Schachspiele aus Bernstein sind äußerst selten und haben sich bezeichnenderweise in erster Linie in öffentlichen Museen fürstlichen Ursprunges erhalten: im Grünen Gewölbe in Dresden aus der Sammlung von Friedrich August I. von Sachsen (reg. 1696-1733), in der Eremitage in Sankt Petersburg aus der Sammlung von Katharina II. von Rußland (reg. 1762-1796) und auf Schloß Rosenborg in Kopenhagen aus der dänisch-königlichen Schatzkammer. Das Kopenhagener Bernstein-Schachspiel ist insofern bemerkenswert, als es in Form, Dekoration und Figurengestaltung größtenteils mit dem vorliegenden Objekt übereinstimmt.
Die Zuschreibung der vorliegenden Bernstein-Spielkassette an den Danziger Bernsteinkünstler Michel Redlin basiert auf einem Vergleich mit mehreren Kassetten des Meisters, die sich u.a. im Grünen Gewölbe in Dresden und im Metropolitan Museum of Art in New York erhalten haben. Letztere läßt sich nicht nur in ihrer Gesamtgestalt mit der vorliegenden Spielkassette vergleichen, sie zeigt auch einen Löwen als Krönungsfigur, der dieselbe Haltung einnimmt wie die Löwen, die hier als Füße dienen, und auch eine ähnlich gekräuselte Mähne aufweist. Michel Redlin ist für das Jahr 1688 als Bernsteinkünstler in Danzig belegt: Damals erwarb Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (reg. 1688-1713, ab 1701 Friedrich I. von Preußen) mehrere Bernsteinkunstwerke von dem Künstler, um diese als diplomatisches Geschenk an den russischen Hof schickte. Darunter befand sich eine Spielkassette, die heute verloren ist, zu der sich allerdings Zeichnungen im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin erhalten haben.
Über die Kostbarkeit und die künstlerische Qualität der Bernstein-Schachkassette hinaus ist auch ihre Herkunft bemerkenswert: Bis vor einigen Jahren befand sie sich noch im Besitz der Dukes of Atholl auf Blair Castle in Schottland. Ein Brief von Lord George Murray (1694-1760) aus dem Archiv von Blair Castle belegt, daß der schottische Edelmann dieses kostbare Kunstwerk 1758 während seines Exils in Amsterdam erwarb und es als Geschenk für seinen Sohn John Murray (1660-1724) nach Atholl sandte.